Beachtlich ehrenamtlich: Alfons Sziglowski

Alfons Sziglowski arbeitet seit 24 Jahren ehrenamtlich im Seniorenzentrum Gelsenkirchen-Schalke und wurde dafür 2011 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Beachtlich ehrenamtlich

„Herzlich Willkommen“ wünscht der Teppich im Eingangsbereich des AWO-Seniorenzentrums in Gelsenkirchen-Schalke, den Alfons Sziglowski jetzt gewohnt zielsicher hinter sich lässt. Die automatischen Schiebetüren öffnen sich tagtäglich für den Rentner. Offiziell anmelden muss er sich hier schon lange nicht mehr. Seit 2Jahren arbeitet er ehrenamtlich in der Einrichtung, betreut die Bewohner, liest jeden Morgen aus der Zeitung vor und hilft beim regelmäßigen Gedächtnistraining, achtet darauf, dass jeder seiner Zuhörer auch ordentlich Wasser trinkt.

Müsste man das Ehrenamt des 79-jährigen eine Jobbeschreibung verpassen, käme man mit den klassischen Begriffen nicht aus. Er ist Seelsorger, Geschichtenerzähler, Malocher, Stütze, Animateur, Organisator, Vorleser, Vertrauter, die gute Seele für die Menschen hier, begleitet den Bewohnerchor und katholischen Gottesdienst.

Als 1995 seine Mutter in das Seniorenzentrum zieht, kommt Alfons Sziglowski sie jeden Tag besuchen, kümmert sich und achtet darauf, dass es ihr an nichts fehlt. Schnell wird er zu einem gern gesehenen Gesicht unter den Bewohnern und findet Gefallen an der ehrenamtlichen Arbeit: „Warum soll ich mich nur um eine Person kümmern, wenn ich gleichzeitig auch anderen eine Freude machen kann?“ Diese Frage wird zum Leitsatz des Gelsenkircheners und zur Motivation, noch heute täglich den Weg zum Seniorenzentrum in die Grenzstraße zu unternehmen, denn auch nach dem Tod seiner Mutter ist Alfons der Einrichtung treu geblieben, „Die Bewohner fragten damals: ‚Alfons, du kommst doch wieder?”, erinnert er sich und darauf kam für ihn nur ein deutliches Ja in Frage. Seitdem findet man ihn sechs Tage die Woche, sieben Stunden täglich im Seniorenzentrum. Für seine Arbeit bekommt er keinen Cent. Das Ehrenamt ist für ihn Erfüllung, die Dankbarkeit der Senioren, des Teams und die Gewissheit etwas geben zu können, ist Vergütung genug.

Hemd, Weste, schwarze Hose und Lederstiefel. Alfons Sziglowski muss nicht auffallen, nicht polarisieren, nicht hier. Im Seniorenzentrum ist er bekannt wie ein bunter Hund. Er kennt jeden Bewohner beim Namen, scherzt mit den Angestellten und sorgt mit seiner ruhrpottschen Gelassenheit für eine Wohlfühlatmosphäre in jeder Situation. Seine Stimme ist tief, beruhigend unaufgeregt und lädt zum Zuhören ein. Der Rentner verfügt über einen scheinbar endlosen Schatz an Anekdoten. Ob über die einst glorreichen Zeiten des FC Schalke, den Bergbau, die Nachkriegszeit oder einfach über das Seniorenzentrum, Alfons war dabei.

Genauso hört es sich an. Gerade durch diese Charakterzüge hat der 79-jährige sich unentbehrlich gemacht. Seit mehreren Jahren engagiert er sich auch auf organisatorischer Ebene für das Seniorenzentrum, wurde wiederholt mit vielen Stimmen in den Nutzerbeirat gewählt und entscheidet dort als Vertreter der Bewohner über sinnvolle Ausgaben, Anschaffungen und Veränderungen. Als Organisator bringt er sich immer wieder in Veranstaltungen ein, rekrutiert Helfer für Waffelverkäufe oder packt kurzer Hand selber mit an, wenn beim Sommerfest das Wetter mal nicht so mitspielt wie erhofft. Seine Stimme hat Gewicht, vor allem bei den Senioren: „Einmal hatten wir mehr Waffelverkäufer als wir Waffeln brauchten, das ging ruckzuck.“, schwärmt er.

Alfons Sziglowski ist 1940 geboren, hat die frühe Nachkriegszeit aktiv miterlebt, ist zwischen Trümmern und Feuer aufgewachsen. Getrieben von dem Gedanken, bloß kein lieber Junge sein zu wollen, verbachte er seine Kindheit auf den Zechengeländen und der „Glück auf“-Kampfbahn.

Im Hause Sziglowski wurde immer viel gefeiert. Namenstage wurden mit selbstgemachtem Sekt begossen, ständig stand ein Geburtstag an und Ostern sowie Weihnachten durften in diesem katholischen Haushalt natürlich auch nicht fehlen. An solchen Tagen kam die gesamte Familie zusammen, sang, tanzte und musizierte gemeinsam.

Gerade dieser familiäre Zusammenhalt und die katholische Erziehung prägten Alfons Sziglowski: „Ich habe schon als Kind gelernt, Menschen zu helfen und Ehrfurcht, Respekt und Achtung vor ihnen zu haben.“. Bis heute trägt der Ehrenamtler diese Tugenden nach außen. Der gelernte Installateur ist ein Macher, ein Anpacker ohne lange Rede. Er fand Erfüllung in dem was er tat, aber durch einen Arbeitsunfall musste Alfons Sziglowski frühzeitig in Rente gehen. Kurze Zeit war er enttäuscht, konnte nicht verstehen, was er falsch gemacht hatte, entdeckte aber in der ehrenamtlichen Arbeit eine neue Lebensaufgabe, einen Ort seine Kraft zu investieren.

Das dauernde Engagement kommt nicht nur bei den Senioren und Bewohnern des Seniorenzentrums gut an, sondern natürlich auch bei den Mitarbeiter*innen. Für das Team der Arbeiterwohlfahrt ist Alfons Sziglowski nicht mehr wegzudenken. Sie vertrauen ihm, geben ihm Raum zur Entfaltung seiner Ideen und freuen sich, wenn er für bunte Abwechslung im manchmal grauen Alltag sorgt. 2011 schlagen sie ihren Alfons „die gute Seele“ heimlich für das Bundesverdienstkreuz vor.

Der 79-jährige selbst bekommt von dem offiziellen Briefverkehr nichts mit, leistet weiterhin unermüdlich seine Arbeit. Mitten im Alltag erwischt ihn dann der plötzliche Anruf. Er solle sich hinsetzen sagt die Stimme am anderen Ende des Apparats. Alfons Sziglowski weigert sich! „Zu der Zeit sollte ich mich immer dann hinsetzen, wenn es wieder einen Todesfall zu vermelden gab. Ich wollte mich einfach nicht mehr hinsetzen müssen!“. Doch die Nachricht saß: Das Bundesverdienstkreuz am Bande. Für ihn, den bescheidenen Rentner aus Gelsenkirchen-Bismarck ...

Oberbürgermeister Frank Baranowski überreichte in angemessen-feierlicher Zeremonie die Auszeichnung im Namen des Bundespräsidenten und würdigte den Ehrenamtler in seiner Ansprache: „Ich freue mich sehr einen Gelsenkirchener ehren zu dürfen, der bereits seit vielen Jahren für andere Menschen da ist. Mit all diesen Tätigkeiten machen Sie den Menschen nicht nur eine Freude. Sie sorgen auch dafür, dass Dinge möglich werden, die sonst nicht möglich wäre.“. Alfons Sziglowski selbst reagiert gewohnt selbstlos auf die große Auszeichnung seiner jahrelangen Aufopferung und vergisst bei all der Aufregung um seine Person nie das Wesentliche in seinem Tun: Das Ehrenamt! „Ich sehe es vor allem als stellvertretende Ehrung für alle Menschen, die ehrenamtlich tätig sind. Gute ehrenamtliche Arbeit funktioniert niemals alleine, sondern nur in einem guten Team.“, wiederholt er dieses Credo auch noch acht Jahre nach der Auszeichnung.

Jetzt packt Alfons Sziglowski das Bundesverdienstkreuz noch einmal aus, legt es behutsam auf den Tisch und erklärt anhand seiner beigen Anglerweste, wo genau am Revers es zu tragen ist. Das goldene Kreuz blinkt poliert, liegt unangetastet in der Schatulle. Die dazugehörige Urkunde hat er vorsichtig in ein Handtuch gewickelt. Sein Name leuchtet in roten Lettern durch das Glas. Ein goldener Rahmen umschließt das Dokument, verdeutlicht das Gewicht dieser Auszeichnung. Das Kreuz macht ihn stolz auf das schon geleistete, aber als mindestens genauso wichtig empfindet er die Arbeit, die noch ansteht, denn ans Aufhören denkt der 79-jährige gar nicht erst.

Außerhalb seiner Tätigkeiten mit den Senioren ist er ein treuer Kirchengänger, hilft bei der Messvorbereitung und singt in einem Chor. „Die Stimme ist mein Instrument. Schon meine Mutter war bekannt dafür, immer eine Melodie auf den Lippen zu haben.“, erläutert er. Und tatsächlich können die Bewohner des Seniorenzentrums ein Lied davon singen, wie weit das Repertoire von Alfons Sziglowski reicht. Dass das Alter nur eine Zahl ist scheint in ihm eine Vermenschlichung gefunden zu haben. Und, dass er über die 23 Jahre den Altersunterschied zu seinen Schützlingen deutlich verringert hat beschäftigt ihn kein bisschen. Er ist und bleibt die treue Seele, hat lange aufgehört sich gegen diesen Spitznamen zu wehren, doch die leichte Verlegenheit lässt sich auch bei aller Bescheidenheit nicht verhindern.

Alfons Sziglowski

In einem Seniorenzentrum bleiben Erfahrungen mit dem Tod nicht unerlebt. In über zwei Jahrzehnten hat der Ehrenamtler schon viele Menschen begrüßt, lieben gelernt und wieder verabschieden müssen. „Ich möchte nicht sagen, dass man sich daran gewöhnt, aber es ist Teil des Lebens und nur, weil ich freiwillig hierherkomme kann ich mich nicht davor verstecken.“, versucht er seine eigene Sicht auf das Thema zu verdeutlichen. Er spricht nicht gerne darüber, lebt lieber seinen Frohsinn aus, erfreut sich an denen, die ihn jeden Morgen lächelnd erwarten und doch ist auch die Trauer eine Emotion, die sich nicht immer verdrängen lässt.

Nach dem Tod seiner Mutter bat er um zwei Wochen für sich, ehe er in das Seniorenzentrum zurückkehrte. Eine menschliche Reaktion. Das Erfolgsrezept liegt darin, die schönen Momente umso mehr zu genießen und vielleicht liegt auch genau dort die Motivation von Alfons: So viel Herzlichkeit schenken, empfangen, verbreiten wie möglich. Die schönen Momente im Leben überwiegen lassen, mit anderen teilen und wer ihm zuhört, der merkt schnell, dass es daran nie zu mangeln scheint. Das Glas ist halbvoll, mindestens! Und wenn es nach ihm ginge dann definitiv mit Stauder Pils.

Die schwarze Schatulle schnappt mit einem dumpfen Klicken zu, ein letztes Mal blinkt das Gold der kreuzförmigen Brosche noch auf. Der goldene Rahmen der Urkunde verschwindet im hellblauen Frottee des Handtuchs ehe beides in einem Jutebeutel verstaut ist. Das Bundesverdienstkreuz kommt zurück in den Tresor, bis mal wieder jemand nach den Geschichten fragt, die unsichtbar mit in der Schatulle stecken. Die gerahmte Urkunde wird, im Gegensatz zu Alfons Sziglowskis Ehrenamt, zurück an den Nagel gehängt. Sie ist die Würdigung dafür, dass er zu selten Zuhause ist, um sie überhaupt zu betrachten.

Sein Herz gehört nun mal den Menschen im Seniorenzentrum, der Musik, vielleicht dem FC Schalke 04, seiner Heimat und natürlich seiner Lebensgefährtin. Der Jutebeutel hüpft auf und ab als die automatische Schiebetür den Ausgang frei macht. Morgen früh wird er wieder über den Teppich im Eingangsbereich gehen, mit einer aktuellen Ausgabe der WAZ unter dem Arm und einem Gruß auf den Lippen für die Menschen, die ihn schon erwarten. Alfons tritt auf die Straße, dreht sich um und geht nach Hause. Auf der Sonnenseite.

Audio
Autoren
Jonathan Cilimba, Westf. Hochschule Gelsenkirchen
Julian Siebert, Westf. Hochschule Gelsenkirchen