AWO-Wegbegleiter Martin Kaysh: Glück auf!

AWO-Oppa

Als AWO-Oppa begeistert Martin Kaysh die Besucher des Geierabends - und das 40 Abende im Jahr.

Geierabend und BODO-Kolumne

Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel: die dicke Hornbrille thront auf der Nase, die dunkle Schirmmütze ist tief in die Stirn gezogen und die zu langen, unterschiedlich großen, weißen Schneidezähne ragen ein ganzes Stück über der Unterlippe hervor - es sitzt alles. Schnell noch das beige-karierte Hemd bis oben zugeknöpft und das einladend graue Sakko zurecht gezupft: Oppa Willi ist bereit für die Bühne.

„Meine Geschichte mit der AWO ist uralt”, beginnt der gebürtige Marler einige Minuten vor seiner Verwandlung zu erzählen und faltet die Hände in seinen Schoß. Willi ist eigentlich gar nicht sein richtiger Name - und so läuft er normal auch nicht rum.

Martin Kaysh, geboren 1961, tief im Ruhrpott. Da, wo sein Opa in den 70ern in einem AWO-Seniorenzentrum gewohnt hat, „was damals glaube ich noch ganz modern war. Eine Nenn-Oma - eine uralte Frau - war ein Mal die Woche zum Doppelkopf spielen und Kaffeetrinken da”, erinnert er sich und streicht durch die zerzausten dunklen Haare, von denen auch nicht mehr alle so dunkel sind, wie sie wohl einst waren. Er erinnert sich an die gemütliche Ruhrpottszenerie, in der die AWO für ihn immer präsent gewesen war, „überall gab es diese Ortsvereine.” Als die im Ruhrgebiet bestimmende, karitative, soziale Einrichtung, „die einen anderen Hintergrund hat, als etwa das „Rote Kreuz”, weil sie dieses Wort ,Solidarität’ noch benutzt“, lernte er den Verband als junger Lokaljournalist kennen.

Seine Liebe zum Schreiben fand Kaysh bereits recht früh: Mit zwölf Jahren erledigte er erste journalistische Arbeiten für den WDR Kinderfunk, „rund zehn Jahre später hab’ ich dann als freier Autor bei der WAZ, Prinz, taz und der Süddeutschen gearbeitet.” In den 90ern startete er dann beim WDR seine Laufbahn als Satiriker, worauf sieben Jahre als Glossenbeauftragter bei Monitor im ARD folgten. Und, naja, parallel humpelte er bereits als Willi beim ,Geierabend’ über die Bühne der Zeche Zollern in Dortmund.

Vor rund 25 Jahren etwa entstanden die AWO Oppas. Das ist so ein Pärchen aus zwei älteren Herren, die durch die Gegend schleichen, aber nicht debil, resigniert oder reaktionär sind, was so Kabarettfiguren oft sind”, merkt Kaysh an. „Das sind eher so Anarchos. Das sind Jungs, die schon wissen, warum sie das machen, was sie machen.” Mit dem Spruch „Früher Apo, heute Opa.” geht es für Willi und Karl-Heinz (Hans Martin Eickmann) seit 1998 alle zwölf Monate beim alternativen Ruhrpott-Karneval auf die Bühne.

Vor rund 450 Leuten, knapp 40 Abende im Jahr. Den Rest des Jahres sind sie im Heim untergebracht „und dass das ein AWO-Heim geworden ist, ist wirklich Zufall.” Zum einen klinge ,AWO-Heim’ einfach gut, das sage den Leuten was. „Zum anderen gehören die auch nirgendwo anders hin. Die würden sich nicht von so Nonnen bearbeiten lassen, oder sich sonntags zum Beten irgendwo versammeln und hintreiben lassen. Das sind schon Menschen, die im Hier und Jetzt leben,” betont Kaysh.
„Die haben eine starke politische Meinung, passen also zum Verband.”

Natürlich blieben die zwei Figuren der AWO nicht lange verborgen und es ergaben sich erste kleine Auftritte bei Familienfesten und Sommerfesten des Bezirkes. „Und es hat uns nie jemand irgendwelche Auflagen gemacht und gesagt: ,Hey, du musst die AWO aber so und so darstellen.’ Das war nie Thema.” Nach und nach habe er den Verband dann auf verschiedenen Ebenen kennengelernt.

Bei einer Mitgliederwerbeaktion vor zehn, zwölf Jahren wurde er angesprochen, man wolle eine Geschichte fürs Mitgliedermagazin machen und eigentlich wäre es doch toll, wenn er dann auch in der AWO wäre. "Da dachte ich mir: ,Gut, warum nicht ?”

Ich bin nicht so der Vereinsmeier, aber AWO-Arbeit ist ja durchaus eine, die man unterstützen kann.” Seitdem ist er Mitglied und geht auch hin und wieder zu Delegiertenversammlungen, „also eigentlich hartes Brot, aber ich find’ die Leute gut und ich mag viele, die sich hier in Westfalen für die AWO engagieren. Die kann ich gut leiden.” Ein mal war er auch bei einer Ortsvereinsversammlung ... „da wurd’ nix Wesentliches besprochen.”

Martin Kaysh schreibt für die AWO im BODO

Über mehr nach Martin Kayshs Geschmack wird in dem Dortmunder und Bochumer Straßenmagazin ,bodo’ geredet. „Es füllt eine Lücke im publizistischen Raum, die andere hinterlassen haben.” Und diese füllt er mit, denn seit 2008 schreibt er eine monatliche Satire für das Magazin. Beziehungsweise für die Arbeiterwohlfahrt - aber in dem Magazin. „Irgendwann kam jemand aus dem Verband auf die Idee, dass man die Anzeige ,Hey, Leute - findet die AWO gut’ mit einer Satire von mir bereichern könnte.”

Deshalb schreibt er nun Monat für Monat einen Beitrag, der in diesem Magazin erscheint. „Josephine Baker sagte mal: ,You can pay me, but you can’t buy me’ und so ist das auch. Die AWO stellt sich vor und ich kann mich publizistisch äußern, das finde ich ist 'ne gute Kombination.”

Die Themen kommen da entweder aus dem Ruhrgebiet oder dem sozialen Bereich. „Die spielen im Kabarett oft keine große Rolle. Man macht so billige Witze über Merkel oder so — das ist schnell erledigt.” Er aber beschäftigt sich mit Themen, wie Erhöhung von Bußgeldern für Schwarzfahrer, oder Sanktionieren von Hartz IV Empfängern.

Dass er damit mal andere quälen würde, hatte er nicht beabsichtigt. „Irgendwann tauchte einer meiner Glossentexte in einem Schulbuch mit einer Musteranalyse auf”, erzählt er sichtlich peinlich berührt, gleichzeitig aber auch voller Stolz. „Das war für weiterführende Schulen in Berlin. Also da hat jemand wirklich eine Glosse von mir genommen und analysiert — da wurde ich rot als ich das gelesen hab.” In Gedanken an die „armen Schüler, die demnächst mit mir um ihre Noten kämpfen müssen“, fährt er sich mit den Händen über das Gesicht und die kleine ovale Brille verrutscht etwas auf der Nase. „Da möchte ich mich für entschuldigen. Da bin ich unschuldig. Find’s trotzdem lustig.”

In seiner Zeit mit der AWO ist Martin Kaysh eine Person besonders ans Herz gewachsen. „Bodo ist ein alter Mann - ... also ich bin auch alt, aber der ist ein richtig alter Mann. Aber ein guter alter Mann. Der kommt regelmäßig zu den Vorstellungen vom Geierabend und man freut sich, dass man sich sieht.” Bodo Champignon war lange Zeit der Vorsitzende des AWO-Bezirks Westliches Westfalen, bis er seinen Posten 2012 übergab.

Aber auch die anderen Mitarbeiter stehen bei Kaysh hoch im Kurs: „Ich kann mich mit den Leuten über soziale Themen unterhalten und finde kompetente Ansprechpartner - ich glaube, dass wir einfach gut zusammenpassen. Ich werde nie Pressesprecher der AWO sein. Ich werde immer noch eine eigene Meinung haben, die ich dann zur Not auch sage, aber wir kommen gut miteinander klar”, sagt er und lächelt.

Autoren
Torben Allkemper, Westfälische Hochschule Gelsenkirchen