Ein Schneewittchensarg geht auf die Reise nach Rumänien

Peter Resler (rechts) ist ehemaliger Geschäftsführer im AWO-Unterbezirk Unna und engagiert sich - unter anderem - mit Hilfsgütertransporten im 'Arbeitskreis Humanitäre Hilfe' für das Dorf Toplet in Rumänien.

Schneewittchens Auftrag in Rumänien

“Und dann ist ein Gewitter aufgezogen, als wir den Sarg abgeholt haben. Der Himmel zog sich zu. Es hat geblitzt. Es hat gedonnert ”, erzählt Peter Resler. Sein Blick wandert dabei aus dem Fenster und verliert sich im grauen, Wolken überzogenen Sommerhimmel. So, als denke er bis heute darüber nach, welche Absichten der Wettergott an diesem Tag hatte.

Peter Resler engagiert sich beim Arbeitskreis Humanitäre Hilfe für osteuropäische Länder der Arbeiterwohlfahrt in Unna. Heute findet die Kooperation allerdings nur noch mit dem kleinen Dorf Toplet in Rumänien statt. Zweimal jährlich fahren LKW beladen mit gespendeten Hilfsgütern die 1.500 Kilometer nach Toplet, um Sachspenden an Bedürftige zu verteilen.

In Gedanken versunken lässt der Rentner den viertägigen Aufenthalt im vergangenen Februar 2018 Revue passieren: “Mit einer kleinen Gruppe von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Arbeitskreises sind wir nach Rumänien gefahren, um uns einen aktuellen Überblick von der dortigen Lage zu machen. Die Verhältnisse in dem Dorf sind unvorstellbar, grauenhaft. Vor allem für Kinder.”

Nachdenklich streicht Peter Resler mit seiner sonnengebräunten Hand über den weißen Esstisch, an dem er am Kopfende Platz genommen hat. Auf dem großen Flachbildfernseher, der in einer Ecke des gemütlich eingerichteten Wohnzimmers steht, läuft eine Diashow mit Fotos aus Toplet.

Die Bilder verraten mit welchen Lebensumständen die Bewohner des Dorfes zu kämpfen haben und wie arm die Bevölkerung in Teilen Rumäniens ist: Heruntergekommene Häuser, aufgerissene Straßen, zerschlissene Kleidung. Die braunen Augen des ehrenamtlichen Mitarbeiters wandern immer wieder zu den Bildern auf dem Fernseher. Es scheint, als würden sie zur Bestätigung unauffällig im Hintergrund ablaufen, um auf die Zustände in Toplet aufmerksam zu machen.

“Der vergangene Kurzurlaub im Februar in Toplet war auch der Auslöser für die Spende des Schneewittchensarges”, verrät der Rentner den Anfang der kuriosen Geschichte um den begehrten Sarg, der an das Märchen von Schneewittchen und die sieben Zwerge erinnert. “Neben Hilfsgütern, wie zum Beispiel Kleider, Möbel, Haushaltsgeräte und Geldspenden, hat es die AWO mit dem Schneewittchensarg geschafft, den Verstorbenen in Rumänien die Würde am Ende des Lebens zu gewährleisten”, erklärt Peter voller Mitgefühl und legt dabei die vom Alter gezeichnete Stirn in Falten. Sein nachdenklicher Gesichtsausdruck verrät, wie viel Herzblut der Ehrenamtliche in das Projekt steckt.

In Rumänien ist es eine langjährige Tradition, dass die Verstorbenen innerhalb einer Familie für drei Tage zuhause aufgebahrt werden, bevor sie schließlich beerdigt werden. Mittlerweile haben sich die Vorschriften für Bestattungen im Rumänien jedoch nach EU-Recht geändert. Die Toten dürfen inzwischen nur noch in einer Kühlvitrine bis zur Beisetzung aufgebahrt werden. “Aber die Bewohner in Toplet haben wenig Geld, um den Ansprüchen des Gesetzes gerecht zu werden. Um die Vorschriften zu erfüllen, müssten die Menschen viel Geld in die Hand nehmen. Aber das haben sie nicht. Daher ging die Bitte an die AWO, so einen Sarg zu besorgen und zur Verfügung zu stellen”, fährt Peter mit der Geschichte vom Schneewittchensarg fort.

“Die Herausforderung so einen Sarg zu finden, haben wir natürlich mit auf den Rückweg nach Deutschland genommen. Aber wie das dann immer ist, wurde die Bitte zunächst abgelehnt”. Es hieß, dass so ein Sarg nicht vorhanden sei bzw. die AWO keinen zur Verfügung stellen könne”, berichtet Peter mit einem Lächeln im Gesicht weiter, dass bis in seine Augen reicht. Denn inzwischen weiß er ja, wie die Geschichte vom Schneewittchensarg und seinen sechs ehrenamtlichen Helfern endet. “Natürlich haben wir nicht aufgegeben, bis wir jemanden gefunden haben, der mithilft die langjährige Tradition in Rumänien auch in Zukunft fortzuführen.

Peter Resler

Nach vielen Gesprächen gelang es dem Arbeitskreis auf dem katholischen Friedhof in Methler einen sogenannten Schneewittchensarg aufzutreiben. Schließlich spendete die katholische Kirchengemeinde St. Marien Kaiserau diese Kühlvitrine an das Dorf in Toplet. “Und dieses Mal dauerte es nicht lange, bis wir mit sechs Helfern den gekühlten Sarg mit Plexiglasdeckel vom Friedhof abholen konnten. Kurz darauf kamen dann auch die Mitglieder des Arbeitskreises aus Rumänien nach Deutschland, um den Sarg mit in ihre Heimat zu nehmen”, beendet der Rentner die außergewöhnliche Geschichte.

Es scheint, als würde er noch immer von Stolz und Freude erfüllt sein, diese Aufgabe geschafft zu haben und somit den Rumänen die Würde am Ende des Lebens gewährleisten zu können. Auch wenn sich während der Abholung ein Gewitter zusammenbraute, sich der Himmel schwarz färbte, es anfing zu Blitzen und zu Donnern.

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In Toplet
Autoren
Westfälische Hochschule Gelsenkirchen