Demenz-Servicezentrum für türkische und russische Zuwanderer

memory

Gedächtnisspiel mit türkischen und russischen Motiven aus der Heimat

Vergessen in einem fremden Land

Leben in einem Land, das einem fremd vorkommt. Sich nur noch an wenig erinnern. Die Menschen sprechen eine fremde Sprache. Sie kleiden sich ganz anders. Alles sieht so anders aus als in der Heimat. Nichts ist wie früher. Im Kopf noch die Gerüche und Eindrücke aus der Heimat. Den Rest vergessen. In einem fremden Land.

Demenz. Daran kann jeder erkranken. Manchmal früher, manchmal später. Doch Menschen, die nach Deutschland zugewandert sind, trifft es häufig früher als andere. Migranten haben oft einen Leidensweg hinter sich. Schwerstarbeit unter grausamen Bedingungen. Sie sind geflüchtet und dadurch psychisch belastet. Die Umgebung hat sich verändert. Die Menschen sprechen eine andere Sprache.

Die Sprache, die sie mit 30 oder 40 Jahren gelernt haben, vergessen die Migranten. Das Kurzzeitgedächtnis wird immer kleiner. Um Demenz zu erkennen, sollen sich die Patienten an ihre Vergangenheit erinnern. Durch das Erinnern an Gerüche und Sprichwörter können Ärzte erkennen, ob und wie weit der Patient an Demenz erkrankt ist. Migranten erinnern sich aber nicht an deutsche Gerüche oder Sprichwörter.

Sie erinnern sich an den Lieblingskuchen, den ihre Mutter damals in der Heimat gebacken hatte. An die Sprichwörter, die der Opa immer gesagt hatte. Aber die gibt es in Deutschland nicht. Mit seinen Standardmethoden kommt ein Arzt nicht weiter. Auch ein Pfleger, der die andere Kultur nicht kennt und die Sprache nicht spricht, kann seine Arbeit nicht richtigmachen. Die Barriere zum Patienten ist viel zu groß. Und auch die Demenzangebote in der Umgebung taugen nichts. Denn deutsche Volkslieder singen und sich mit anderen Erkrankten austauschen ist unmöglich.
 

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All diese Probleme führen zur Isolation. Der Krankheitszustand kann sich dadurch sogar verschlechtern. Angehörige sind meist überfordert mit der Pflege. In türkischstämmigen Familien übernehmen die Familienmitglieder die Pflege als ein Zeichen von Respekt und Dankbarkeit. Ein Heim kommt nicht in Frage. Denn damals haben die Eltern die Kinder gepflegt. Nun wurden die Rollen getauscht. Hilfe ist nötig.

Doch es fängt mit dem Erreichen der Menschen an. Russischstämmige Menschen schämen sich oft für diese Krankheit. Wenn Angehörige Informationen einholen wollen, wird nicht offiziell für den eigenen Verwandten gefragt. Sie schieben die Ausrede vor, dass sie sich für einen Nachbarn informieren würden.

Um diese Scham zu überwinden, muss ein Zugang zu den Menschen gefunden werden. Im Jahr 2006 sprach das Projekt als Erstes in Europa die notwendige Hilfe für demente Migranten an. Im Jahr 2004 beschäftige sich schon das Vorläuferprojekt der Wohlfahrtsstiftung mit Unterstützungsangeboten.

Seit 2007 gibt es das Demenz-Servicezentrum für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Gelsenkirchen. Es gehört mit 12 weiteren Demenz-Servicezentren zur Landesinitiative Demenz-Service. Träger ist die Arbeiterwohlfahrt, Unterbezirk Gelsenkirchen-Bottrop.

Zur Beratung dementiell erkrankter Menschen und ihrer pflegenden Angehörigen sowie zur Ergänzung, Weiterentwicklung und Unterstützung bestehender Hilfeangebote fördern das Ministerium für Gesundheit, Emantipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen und die Pflegekassen im Rahmen der Landesinitiative Demenz-Service NRW seit Mitte 2004 den Aufbau von Demenz-Servicezentren.

Es ist einzigartig in seinem Schwerpunkt. Die Mitarbeiter, die selber einen Migrationshintergrund haben, erarbeiten Materialen in verschiedenen Sprachen. Erinnerungsspiele, Sprichwortkarten und Bücher. Aber auch Übungsaufgaben und Sportangebote. Diese Produkte sind hauptsächlich auf die russische und türkische Sprache und Kultur abgestimmt. Die große Nachfrage an das einzigartige Demenz-Servicezentrum spiegelt die Notwendigkeit wieder.

Andere Bundesländer versuchen dieses Konzept für sich zu übernehmen. Auch Universitäten arbeiten mit dem Zentrum an Projekten. Diese Angebote sollen den Migranten helfen, sich mit Übungen in der Muttersprache fit zu halten. Ein Stück Heimat zurückzuholen. Gegen die Demenz zu kämpfen. Denn an Demenz kann jeder Mensch erkranken, egal welcher Herkunft er ist.

Weitere Infos zum Demenz-Servicezentrum erhalten Sie beim AWO Unterbezirk Gelsenkirchen/Bottrop und bei Frau Bedia Torun. 

Autoren
Westfälische Hochschule Gelsenkirchen, Kathrin Kramer