Die Arbeiterwohlfahrt zu Flucht, Asyl und Teilhabe an der Gesellschaft

Unseren Grundwerten verpflichtet

Die Arbeiterwohlfahrt zu Flucht, Asyl und Teilhabe an der Gesellschaft

Die Geschichte der Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist auch eine Geschichte der Flucht. Es waren in Zeiten des Nationalsozialismus unsere Mitglieder, die vor der Herrschaft der Nazi-Diktatur fliehen mussten und anderswo Asyl erhielten. Genauso haben wir nach dem zweiten Weltkrieg den Vertriebenen und während des Jugoslawienkrieges den geflüchteten Menschen geholfen. Die gemeinsame Richtschnur all unserer Handlungen und Positionen war gestern wie heute unsere humanitäre Verpflichtung dem einzelnen Menschen gegenüber.

Die Arbeiterwohlfahrt sieht sich aufgrund der aktuellen Situation dazu aufgefordert, erneut klar Position zu den Themen Flucht, Asyl und Teilhabe an der Gesellschaft zu beziehen. Genauso machen wir uns vor dem Hintergrund wachsender rassistischer Gewalttaten stark gegen Rassismus, Rechtsextremismus und rechte Gewalt.

Asylrecht als individuelles Recht

Die drei zentralen Schutzansprüche (Asylrecht nach Grundgesetz, nach Genfer-Flüchtlingskonvention und aufgrund von subsidiärem Schutz) sind als individuelle Rechte ausgestaltet: Jeder Mensch besitzt das Recht darzulegen, inwieweit er schutzbedürftig ist. Daraus folgt, dass der Einzelne in einem fairen Verfahren die Chance erhalten muss, seine Fluchtgründe mithilfe eines vertrauenswürdigen Dolmetschers umfassend vortragen zu können.

Eine zahlenmäßige Obergrenze für den Zuzug von geflüchteten Menschen ist folgerichtig im Rahmen der bestehenden rechtlichen Verpflichtungen nicht möglich. Sie würde mit den Grundsätzen des individuellen Rechts auf Asyl brechen. Deshalb lehnt die AWO es ab, eine Obergrenze festzulegen. Das schließt mit ein, dass die AWO gegen jegliche Konzepte Position bezieht, die im Ergebnis eine quantifizierbare Obergrenze beinhalten.

Die AWO setzt sich vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte dafür ein, das individuelle Recht auf Asyl weiterhin als individuelles Recht zu erhalten. Darüber hinaus ist es der AWO ein Anliegen, dass legale Zugangswege zum Schutz vor asylrelevanter Verfolgung national und auf europäischer Ebene stärker Anwendung finden. Einzelne Aufenthaltstitel und abgeleitete Rechte Die Arbeiterwohlfahrt fordert, dass die geflüchteten Menschen unabhängig von ihrem individuellen Aufenthaltsgrund menschenwürdig in Deutschland behandelt werden.

„Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“, so das Bundesverfassungsgericht, als es die Minderleistungen an ge-flüchtete Menschen nach dem AsylbLG in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 für verfassungswidrig erklärte. Das betrifft alle Lebensbereiche der Menschen wie Wohnen, Sozialleistungen, medizinische Versorgung, Arbeit, Bildung und Integration, Beratung.


Schutz der Familie

Die AWO tritt dafür ein, dass Familien zusammenleben können. Denn wir wissen um die Bedeutung der Familie für den einzelnen Menschen. Deshalb muss der Familiennachzug unabhängig vom Aufenthaltsstatus gelten. Er ist aus humanitären Gesichtspunkten heraus nicht verhandelbar. Eine Einschränkung der Möglichkeit des Familiennachzugs lehnt die AWO grundsätzlich ab. Faire und gerechte Asylverfahren unabhängig vom Herkunftsland Das individuelle Recht auf Asyl schließt ein gerechtes und faires Asylverfahren für den einzelnen Menschen mit ein. Das Konzept der „sicheren Herkunftsländer“ hat zur Folge, dass im Asylverfahren ein verkürztes Verfahren mit erheblich kürzeren Fristen für die Rechtsmittel und eine Anhörung stattfindet, die dem Einzelnen nicht gerecht wird.

Dadurch wird de facto ein Zwei-Klassen-System der Asylbewerber geschaffen, das nicht mehr den besonderen Umständen von Asyl- und Schutzsuchenden gerecht wird. Die dann geltenden Bedingungen für die Aufnahme und die Behandlung im Asylverfahren entsprechen nicht unseren Vorstellungen an ein faires Verfahren. Es muss weiterhin bei jedem Menschen im Einzelfall entschieden werden, ob er ein Recht auf Asyl hat und das muss unter angemessenen Umständen geprüft werden. Darüber hinaus ist der Schutz von Menschen vor Verfolgung und Krieg eine europäische Aufgabe. Den damit verbundenen Herausforderungen darf sich kein Land der Gemeinschaft entziehen. Davon ist die Arbeiterwohlfahrt überzeugt.

Fluchtursachen bekämpfen

Die AWO ist sich bewusst, dass es weiterer Maßnahmen bedarf, die in Europa und an der Situation in den Herkunftsländern ansetzen. Die Situation in der Nähe der Herkunftsländer sowie in den Ländern selbst ist dringend zu verbessern. Neben den anerkannten Fluchtgründen aufgrund politischer Verfolgung, Kriegen, Bürgerkriegen werden klimatische und umweltrelevante Gründe immer wesentlicher für Wanderungsbewegungen. Armut war schon immer ein Grund, die Heimat zu verlassen und vordergründig wirtschaftlich bedingte Flucht ist zumeist durch politische oder klimatische Umstände begründet. Einwanderung gestalten Wir fordern ein Einwanderungsgesetz, das die vielfältigen Gründe für Migration berücksichtigt und der wachsenden Vielfalt von Migration gerecht wird. Es bildet die Grundlage unseres Zusammenlebens und soll keinesfalls nur auf die Logik des Fachkräftemangels und der Verwertbarkeit von Menschen ausgerichtet sein. Die Arbeiterwohlfahrt begreift ein Einwanderungsland als Land aller, die hier leben.

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Die AWO als Akteur und Gestalter

Die AWO ist als Mitgliederverband ein zentraler Akteur in der Zivilgesellschaft und stellt sich den neuen Herausforderungen. Die AWO begreift sich als lernende Organisation, die permanent durch neue Arbeitsformen und kreative Ansätze ihr Engagement und ihre Dienstleistungen orientiert an den Menschen weiterentwickelt. Für die Integration von Neubürgerinnen und -bürgern gestaltet die AWO vor Ort eine Willkommenskultur. Durch gemeinsame Aktivitäten, Begegnungen und Diskussionen zeigt die AWO der Gesellschaft, dass alle Menschen mehr verbindet als trennt. Von der Willkommenskultur zur Willkommensstruktur Zu der inneren Haltung der Menschen braucht es allerdings auch eine verlässliche Willkommensinfrastruktur.

Integration und Teilhabe werden nur gelingen, wenn Zuständigkeiten klar geregelt sind. Die aktuellen Entwicklungen müssen mit ihren Kosten und Gewinnen für die Gesellschaft transparent sein. Hauptaufgabe in Deutschland ist es neben der Erstversorgung sicherzustellen, dass die langfristige Integration der geflüchteten Menschen in der Gesellschaft funktioniert. Ein sehr frühes Ansetzen ist dabei von besonderer Bedeutung. Es geht um das Erlernen der deutschen Sprache genauso wie um Informationen über bestehende Strukturen. Es braucht jetzt auch eine offensive interkulturelle Öffnung aller Regeleinrichtungen.

Denn es sind Kitas, Schulen, Stadtteil-/Nachbarschaftszentren, Beratungsstellen, Freiwilligenagenturen, das Gesundheitssystem, der Ausbildungsmarkt, Studienorte und der Arbeitsmarkt, die den Grundstein dafür legen, dass Teilhabe gelingt. Deshalb muss die interkulturelle Öffnung der Regeleinrichtungen und die damit verbundene Qualifizierung des Personals in diesen Einrichtungen dringend sichergestellt werden.

Die Integration erfolgt selbstbestimmt durch den Einzelnen in wechselseitiger Verantwortung auf Basis der grundgesetzlichen Ordnung, aber wird ganz maßgeblich verantwortet durch die Gesellschaft. Kapazitätsgrenzen hängen von der Bereitschaft ab, in die Bereiche öffentliche Verwaltung, Wohnungsmarkt und Integrationsmaßnahmen (Sprache, Bildung, Arbeit) zu investieren.

Die wirtschaftliche Lage unserer Volkswirtschaft war seit Jahrzehnten nicht besser als heute. Die Integration der geflüchteten Menschen in Bildungssysteme und in den Arbeitsmarkt werden zunächst nur kurzfristig Kosten verursachen und stellen langfristig eine Investition dar. Echte Teilhabe - vom Geflüchteten zum Bürger Eine zukunftsorientierte Migrations- und Integrationspolitik muss sich im Rahmen der Menschenrechte an den gesellschaftlichen Interessen ausrichten und mit der ganzen Gesellschaft diskutiert, entwickelt und realisiert werden. Einwanderung bewirkt Veränderungen, die als Teil der Realität anzuerkennen sind. Die damit verbundenen Probleme sind offen anzusprechen und zu lösen.

Die AWO tritt dafür ein, in einem offenen transparenten solidarischen Prozess differenzierte Lösungen für alle Handlungsfelder zu etablieren. Es ist das vordringlichste Ziel und Aufgabe aller, Vielfalt im Rahmen eines demokratisch legitimierten Rechtsrahmens zu gestalten und zu leben.

 

(Video: Der Wandel der sozialen Arbeit: Imagefilm 'AWO FÜR ALLE, 1988' Kapitel: Ausländische Mitbürger)

Autoren
Präsidium AWO Bundesverband