Von Gelsenkirchen bis Bottrop – von Pflegestufen bis Pflegegrade
„Die älteren Menschen leben vereinsamt und alleine, schauen den ganzen Tag nur Fernsehen und dann kommen sie aus irgendwelchen Gründen ins Heim und denken, ihr Leben geht genau so weiter.”
1983 ist Hartmut Skrok für wenige Monate arbeitslos. Seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann hatte er kurz vorher beendet. Doch dies sollte nicht sein Beruf für die Zukunft bleiben. Somit entschied sich der damals 21-Jährige dazu, seinen Zivildienst im Seniorenzentrum der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Gelsenkirchen zu absolvieren. Dass diese Entscheidung nur der Anfang einer steilen Karriere sein sollte, ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
„Meine Zivi-Zeit endete und ich fragte den damaligen Heimleiter, ob er nicht eine Anstellung für mich hätte.” Die hatte er auch, allerdings nur in der Pflege, was Hartmut Skrok nicht sonderlich begeisterte. Aber er ließ sich auf zwei Wochen Probezeit ein. „Ja und im Grunde genommen dauern meine zwei Wochen bis heute an”, so Skrok. Heute leitet er das Seniorenzentrum „Schattige Buche” in Bottrop mit insgesamt 72 Bewohnern in drei Wohngemeinschaften. „Ich bin glücklich”, kann er heute selbst behaupten.
In seiner langen Zeit vom Zivildienstleistenden bis hin zum Einrichtungsleiter veränderte sich auch die Pflege deutlich: Zu Beginn gab es drei Pflegestufen mit dem dazugehörigen Personalschlüssel. Das Personalorientierte sich somit an den Pflegestufen der Heimbewohner.
1996 wurde Hartmut Skrok dann in die WDR-Sendung „Mittwochslive” eingeladen. Kurz zuvor trat die Pflegeversicherung in Kraft, zu der Skrok dort befragt wurde. Mit der Pflegeversicherung fiel der Personalschlüssel weg und es kam eine Zeitberechnung für die Pflege. „Plötzlich wurde geschaut, wie lange ein Mensch für bestimmte Tätigkeiten brauch. Zwei Minuten für einen Toilettengang - komplett am Schreibtisch entschieden” so Skrok. Seine damaligen Aussagen, dass nicht nur zu wenig Personal zur Verfügung stände, sondern auch die Zeit zum Pflegen fehle, sieht er nach wie vor bestätigt. „Ich bin früher ständig nach Hause gefahren und dachte mir, ich habe schon wieder zu wenig geschafft.” Dieses Problem verstärkt sich auch durch die zusätzliche Büroarbeit neben der reinen Pflege. „So absurd es auch ist: Da kann jemand angezogen auf dem Bett sitzen, wenn es nicht aufgeschrieben wurde, ist diese Person nackt.”
Anfang 2017 folgte eine weitere Reform, sodass nun in 5 Pflegegraden gemessen wird. „Am Ende bleibt alles, wie es ist. Undenkbar ist es für mich, dass es keinen Pflegeschlüssel mehr gibt.” Heute muss Hartmut Skrok mit dem vorhandenen Budget versuchen, genügend Personal einzustellen, wenn er denn welches findet. „Woher sollen junge Menschen denn heutzutage wissen, was sie mal werden wollen?” Daher seien der Bundesfreiwilligendienst und das freiwillige soziale Jahre eine gute Möglichkeit um erste Eindrücke zu sammeln. Hartmut Skrok ist sich sicher: Im Pflegebereich gibt es nicht nur sehr gute Aufstiegschancen, sondern auch die Gefahr, arbeitslos zu werden, ist extrem niedrig. „Wir sind zwar gut besetzt, aber genug sind wir nie.”
Und so versuchen alle, das Leben der Bewohner so schön wie möglich zu gestalten. „Schminken sich alte Leute? Aber natürlich”, erklärt Skrok. „Das ist doch völlig normal, das ist Leben. Den Tag bestimmt der Mensch und keine Institution.” Und dort holen die Pfleger die Bewohner ab: Mit Schminkkursen und anderen Angeboten. Auch wenn es dort immer wieder Umstellungen gibt: „Ich habe in meinem Leben nie gesungen. Ich werde später im Heim auch nicht zum Gesangskreis gehen. Ich würde Fußball gucken”, und tatsächlich bietet das Seniorenzentrum regelmäßiges Fußballgucken an.
„Die älteren Menschen leben vereinsamt und alleine, schauen den ganzen Tag nur Fernsehen und dann kommen sie aus irgendwelchen Gründen ins Heim und denken, ihr Leben geht genau so weiter. Aber wenn sie wirklich Spaß haben und so mitmachen, wie wir das wollen, haben die gar keine Zeit für was Anderes. Die Menschen kommen nicht zum Sterben hierhin, sondern zum Leben.”