Gerda Kieninger - ein jahrzehntelanger Einsatz für Frauen und ihre Rechte
Gerda Kieninger war von 1995 bis 2017 direkt gewählte Abgeordnete des Landtags von Nordrhein-Westfalen für den Landtagswahlkreis Dortmund II. Im Videoportrait erzählt Sie eindrucksvoll über ihr Engagement für die AWO und über die Politik und Gleichberechtigung der Frauen.
‘Wenn Du was erreichen willst, nimm ein paar Freundinnen mit und misch' den Laden auf'!
Wenn sich Gerda Kieninger heute im Landtag von NRW umschaut, sieht sie eine neue Generation von Politikern – darunter viele Frauen. In Dortmund sind bei der SPD bei den vergangenen Wahlen die Bundes- und Landtagsmandate zu 50 Prozent an Frauen gegangen – auch bei der Kommunalwahl achtet ihre Partei auf die Quote. Als die SPD-Politikerin aus Eving vor 24 Jahren das erste Mal in den Landtag von Nordrhein-Westfalen einzog, sah dies noch anders aus. Ganz abgesehen davon, dass sie eigentlich noch nicht mal SPD-Mitglied werden wollte.
Sozialdemokratische Wurzeln
Ihre Eltern und Großeltern waren alle Sozialdemokraten. „Ich bin nicht in diese Partei gegangen. Mein Mann schon”, gesteht Kieninger. Sie kümmerte sich um Familie und Beruf. „Doch als bei uns in der Straße ein Kind tot gefahren wurde, habe ich eine Bürgerinitiative für Tempo 30 gegründet, Unterschriften gesammelt und sie an Ratsvertreter und Bezirksvorsteher übergeben”, erinnert sie sich. Passiert sei damals aber nichts. „Was soll ich dann also in einer Partei?”, fragte sie sich.
Und bei ihrem Wunsch nach einer weiteren Gesamtschule – damals gab es nur eine in Scharnhorst – sah es ebenfalls nicht rosig aus. Als dann eine Ortsvereins-Einladung zu eben diesem Thema kam, musste ihr Mann zu Hause bleiben und auf die Kinder aufpassen. „Da gehe ich hin”, entschied sie, mischte sich in die Diskussion ein und beeindruckte die Evinger SPD-Mitglieder.
„Frau Kieninger, wir brauchen solche Frauen, die auch mal richtig ‘was sagen”, habe Erwin Huesken, damals Ortsvereinsvorsitzender und Präsident des VfL Kemminghausen ihr gesagt. Ihre Kritik, dass bei den Themen, die sie interessierten, nichts passierte, wollte er nicht gelten lassen. „Nur mit Bürgerinitiativen nützt das nichts – man muss sich schon an den Prozessen beteiligen”, bekam sie zu hören.
Einmischen und aufmischen
Also trat sie – nach Rücksprache mit ihrem Mann Andreas – in die SPD ein. 37 Jahre ist das her. Sie stattete der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) einen Besuch ab und war enttäuscht. „Da war ich Ende 20. Die waren alle mehr als doppelt so alt”, beschwerte sie sich bei ihrem Ehemann. „Dann nimm doch deine Freundinnen mit und misch den Laden auf”, riet dieser ihr. Das tat sie auch: „Alle sind eingetreten und wir haben vieles anders gemacht.”
Es war eine Zeit, wo das Mitreden von Frauen in den Männer-dominierten Gremien eher die Ausnahme war. Gerade in Eving – in einem sehr traditionellen Ortsverein. „Aber es gab wunderbare Seminare von der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Kinderbetreuung. Da habe ich einige Seminare gemacht und meine Blagen mitgenommen”, sagt sie lachend. „Die Themen waren Rhetorik oder: Wie setze ich mich im Ortsverein ein? Das fand ich gut”, berichtet Kieninger. „Ich hatte nie Probleme, offen etwas zu sagen, aber die Techniken waren hilfreich.”
Von da an mischte sie sich kräftig in der Partei ein. Im Traditionalisten-Ortsverein war sie weiterhin „nur” Mitglied. Aber in den Unterbezirksvorstand der SPD-Frauen und auch der SPD wurde sie gewählt, ebenso wie in den Bezirks- und sogar den Landesvorstand der Partei – alles noch ohne Quote und binnen weniger Jahre.
Politische Mandate waren nie ihr Ziel, auch wenn sie mittlerweile in der Bezirksvertretung Eving saß. „Ich habe nie ein Mandat im Blick gehabt oder bin gezielt daran gegangen.” Als Gerd Wendzinski nicht mehr für den Landtag kandidierte, sprachen sie die SPD-Frauen an, ob sie nicht kandidieren wolle. „Zu einem Zeitpunkt, als ich noch nicht mal selbst darüber nachgedacht habe.”
Landesweit bestes SPD-Ergebnis
Nach Gesprächen mit ihrer Familie und dem Ortsverein trat sie an und setzte sich 1994 parteiintern gegen einen Bewerber aus Mengede durch – Armin Jahl. Zuletzt saß sie gemeinsam mit ihm im Landtag.
Sie hat in den fast vier Jahrzehnten in der SPD und den 22 Jahren im Landtag Höhen und Tiefen erlebt. Ein Höhepunkt: Kieninger hatte bei ihrer ersten Wahl das beste Wahlergebnis für die SPD landesweit eingefahren.
Rau, Clement, Steinbrück, Rüttgers hat sie als Ministerpräsidenten erlebt und ist erfolgreich mit Hannelore Kraft in den Wahlkampf gezogen. 2017 war damit Schluss – sie hat sich gegen eine weitere Kandidatur entschieden, um Platz für Jüngere zu machen - und sich auf ihre Aufgabe als Vorsitzende des AWO-Unterbezirks Dortmund zu konzentrieren.
Die Gleichstellung von Frauen war und ist ihr ein Herzensanliegen. Zudem setzt sie auf die Gestaltung der „inklusiven Gesellschaft”, wie sie das selbst nennt: Mir geht es um die gleichberechtigte und inklusive Gesellschaft, wo alle mitmachen und wir auch alle mitnehmen”, erklärt Kieninger.
Denn die Gesellschaft verändert sich: „Wir werden bunter und vielfältiger.” Einen Prozess, den sie natürlich auch als AWO-Vorsitzende mitgestaltet - schließlich sind die Behinderten-, Integrations- und Flüchtlingsarbeit wichtige Felder.
Sie möchte die Menschen auf den Weg zu einer inklusiven Gesellschaft mitnehmen. Das ist für sie viel mehr als die Diskussion um Menschen mit Behinderungen. „Integration vermittelt, dass ich mich in etwas begebe und meine eigene Gesellschaft verlasse.”
Es gehe nicht darum, etwas für die neue Gesellschaft aufzugeben. „Alle sollen ihren Hintergrund behalten und gleichzeitig mitmachen. Das macht die Gesellschaft inklusiv, unabhängig von Herkunft, Religion, Rasse, Sprache, Orientierung”, macht die 68-Jährige deutlich.
Integration bedeute „Ich muss ‘was machen” – Inklusion hingegen „Ich mache mit”. „Wenn ich dann noch eine gleichberechtigte Gesellschaft und gesellschaftliche Teilnahme dazu nehmen würde, dann hätten wir das, was ich mir als Sozialdemokratin und AWO-Vorsitzende wünsche, erreicht”, verdeutlicht Gerda Kieninger. „Beides haben wir noch nicht.”
Besonderer Einsatz für Frauen - im Geiste von Marie Juchacz
„Ich habe mich mit der Frauenpolitik immer beschäftigt, weil Frauen benachteiligt sind. Benachteiligt allein durch ihr Geschlecht, da machen auch alle Artikel des Grundgesetzes nichts”, betont Kieninger. Sie fand es bewundernswert, dass die erste Frau im Parlament Marie Juchacz war. „Eine Frau, die wirklich das verkörperte, was Frauenpolitik eigentlich ausmacht - auch heute noch”, findet die Dortmunder AWO-Vorsitzende.
Marie Juchacz sei immer für zentrale gesellschaftliche Werte eingetreten. „Sie hat gleich in ihrer ersten Parlamentsrede deutlich gemacht, dass wir Frauen nicht dafür zu danken haben, das Wahlrecht zu haben und gewählt werden können, sondern dass es eine Selbstverständlichkeit ist und wir dieses Recht erkämpft haben.”
Auch die Entgeltgleichheit ist ein Faktor - „Frauen bekommen 21 Prozent weniger. Ich sage ausdrücklich ,bekommen’, nicht ,verdienen’. Verdienen tun sie mehr”, betont Kieninger. Dass Deutschland mit diesem riesigen „Gender Pay Gap” weltweit auf dem vorletzten Platz bei der gleichen Bezahlung liegt, ist für sie nicht hinnehmbar. „Da haben wir immer noch zu kämpfen. Aber wenn wir in dem Tempo der Angleichung weiter machen, brauchen wir nochmal 100 Jahre. Das will ich nicht, ich will schneller vorankommen. Daher muss mehr Druck entstehen und den müssen wir Frauen machen.”
Allerdings meinten die jungen Frauen, dass ihnen die Welt offen stünde. Sie hätten auch die besseren Schulabschlüsse als die Jungs. „Aber es gibt immer eine gläserne Decke, sodass Frauen nicht oder selten - auf jeden Fall nicht genug - in Spitzenpositionen kommen”, verdeutlicht Kieninger.
Paritätische Besetzung von Gremien
„Wir brauchen aber die Parität. Das hat mit Entscheidungskompetenzen zu tun. Frauen entscheiden nach anderen Kriterien als Männer. Das hat schon Marie Juchacz deutlich gemacht”, so die AWO-Vorsitzende. Egal ob in Aufsichtsräten, Parlamenten oder Gesellschafterversammlungen - alle Gremien müssten paritätisch besetzt werden.
„Dann fallen Entscheidungen anders. Männer denken rein wirtschaftlich, Frauen denken nachhaltiger. Daher ist es gut, dass Männer und Frauen mitreden, um zu viel besseren Ergebnissen zu kommen”, so die engagierte Streiterin für Frauenrechte.
Dabei hat Kieninger auch den Frauenanteil in Führungsgremien der AWO im Blick. Eine Frau - Marie Juchacz - hat sie gegründet. „Aber wir leisten uns, dass wir sehr wenig Frauen in den Führungsebenen haben - egal ob im Bund, Land, Bezirk oder in den Unterbezirken.”
„Ein Verband, der mehrheitlich Frauen als Mitglieder hat, leistet sich, in Gremien überwiegend Männer zu haben”, kritisiert sie. Sowohl bei den Ehrenamtlichen als auch bei den Hauptamtlichen müsse dafür etwas getan werden. Frauenförderung komme nicht von selbst - dafür müsse man etwas tun. Denn auch im Bezirk Westliches Westfalen gibt es neben Gerda Kieninger nur eine weitere Frau als Vorsitzende. Auch in den Vorständen gebe es da noch Nachholbedarf.
„Unsere Personalpolitik soll dem Rechnung tragen. Unsere Strategie heißt ,Unternehmen Vielfalt’. Das bedeutet Vielfalt bei Beschäftigten und Vorständen. Ich muss die Vielfalt auch sehen und mich daher bemühen, Menschen anzusprechen, ob sie mitmachen wollen in den Entscheidungsgremien oder ob sie sich beruflich weiter qualifizieren wollen“, so Kieninger. „Vielfalt heißt für mich auch mehr als ,nur’ das unterschiedliche Geschlecht.”